Originaltitel
Land/Jahr
Genre
Laufzeit
Regie
Drehbuch
Darsteller
Amer
Frankreich; 2009
Thiller, Horror, Giallo
90 min
Hélène Cattet, Bruno Forzani
Hélène Cattet, Bruno Forzani
Marie Bos, Delphine Brual, Harry Cleven, Bianca Maria D'Amato, Cassandra Forêt, Charlotte Eugène Guibeaud
Der Film aus der Feder von Hélène Cattet und Bruno Forzani wird oft als Giallo angepriesen. Das ist er allerdings nicht - zumindest nicht im bekannten Sinne. Stattdessen liefern uns die beiden Regisseure einen visuell hochstehenden Kunstfilm, der mehr Fragen stellt als er beantwortet.
Als kleines Mädchen lebt Ana in einem grossen, abgeschiedenen Haus. Dort gehen jedoch seltsame Dinge vor. Das Kindermädchen, ganz in schwarz gekleidet, scheint etwas merkwürdiges im Schilde zu führen. Und ihr Grossvater liegt aufgebahrt in einer kleinen Kammer.
Als Jugendliche scheint sie diese Erlebnisse wieder vergessen zu haben und wird sich zum ersten Mal ihrer Ausstrahlung als Frau bewusst. Dies wird aber von der Mutter gar nicht gern gesehen.
Als erwachsene Frau kehrt Ana dann zurück auf das nun verlassene Anwesen ihrer Eltern. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht so einfach ausschließen...
Um ganz ehrlich zu sein, als ich den Film "Amer" das erste Mal gesehen habe, war ich enttäuscht. Durch die vielen Werbeschriften und Szenenbilder freute ich mich auf einen düsteren Krimi-Thriller - halt eben einen Giallo, wie ihn die Italiener in den 70er- und 80er-Jahren so schön vorgemacht hatten. Als aber nach 90 Minuten der Abspann zu laufen begann, kam ich mir irgendwie veräppelt vor.
Um das besser zu verstehen sollte ich vermutlich hier den Begriff Giallo genauer erklären. "Giallo" ist das italienische Wort für "gelb" und wird für eine ganz bestimmte Art von Film und Literatur verwendet. Da früher die Schund- und Krimiromane, die es zu dutzenden zu kaufen gab, in einen gelben Umschlag gebunden waren, prägte sich der Ausdruck für diese Form von Geschichten ein. In den Sechzigerjahren gab es einen Regisseur, der die zukünftige Verwendung dieses Wortes für den Film ungemein Prägte: Mario Bava. Er machte zu dieser Zeit Filme mit Horror- und Thrillerelementen, die sich sowohl durch ihre starke Brutalität als auch durch die hohe visuelle Qualität auszeichneten. Allerdings kam der Siegeszug der Gialli erst ab den Siebzigerjahren, als der Junge Regisseur Dario Argento, der zunächst noch Edgar Wallace-Verfilmungen machte, mit seinem Film "Suspiria" (1977) weltweite Aufmerksamkeit erregte. Mit seinem Mix aus surrealistischer Beleuchtung, langen, ruhigen Kamerafahrten und der ungemein spannenden als auch brutalen Geschichte, wurde der Film zum Meilenstein. Aber auch die oft psychisch vorbelasteten Mörder, die vom Wahnsinn getrieben werden, zeichnen dieses Genre aus.
Was bei "Amer" nun aber gleich auffällt ist, dass hier keine Elemente eines Krimis vorhanden sind. Stattdessen setzt das Regieduo ganz auf die visuelle Kraft der Bilder. Dabei lassen sie sich viel Zeit und jede Szene zieht sich dadurch stark in die Länge.
Die Stimmung die sie Aufbauen ist dadurch unglaublich intensiv und, wenn man sich überwindet und auf das Geschehen einlässt, auch sehr Spannend.
Der ganze Film ist in drei Stücke aufgeteilt, wobei jeder Teil einen Lebensabschnitt von Ana darstellt. Einmal als Mädchen, einmal als jugendliche und schließlich als erwachsene Frau.
In den Teilen fallen besonders stark die Musikstücke auf, die verwendet wurden um das geschehen zu unterstreichen. Es wurde hier jedoch auf Musik von anderen Filmen zurückgegriffen, wie zum Beispiel Themen aus "La polizia chiede aiuto" (1974) und "La coda dello scorpione" (1971).
Auf der visuellen Ebene ist also dem Film absolut nichts vorzuwerfen. Er schafft es tatsächlich Bilder zu erzeugen, die farblich und filmtechnisch kaum von den Vorlagen aus den Siebzigern zu unterscheiden sind. Spezielle Perspektiven und Nahaufnahmen sorgen ebenfalls für einen perfekten Filmgenuss. So ist als Beispiel die Szene sehr faszinierend, in der die Kamera einer Ameise folgt, die Ana’s Bein hoch krabbelt.
Wenn man aber zur Geschichte blickt ist es schon schwieriger diese zu beschreiben. Es kommen praktisch keine Dialoge im Film vor - man muss das Geschehen durch die Bilder verstehen und gerade das ist nicht ganz einfach. Der Film begibt sich nämlich auf eine sehr psychologische Ebene, in der nie klar ist, ob das Geschehen real oder nur Fantasie ist.
Als Zuschauer muss man sich selbst einen Reim daraus machen, was da eigentlich passiert. Wer dazu nicht bereit ist, der wird spätestens nach 20 Minuten Film das Interesse verlieren.
Ich meinerseits habe nach einigem Zögern beschlossen, den Film noch einmal zu schauen - diesmal mit dem Wissen, was mich erwartet und muss nun zugeben, das "Amer" ein, zwar spezielles, aber visuell umwerfendes Stück Kunstfilm ist. Ich sage hier ganz bewusst Kunstfilm, denn durch die Minimalisierung der Geschichte ist der Film wohl eher Experiment als Unterhaltungsfilm.
Fazit:
Der so oft als moderner Giallo angepriesene "Amer" entpuppt sich beim Betrachten als visuell hochwertiger Kunstfilm der aber immer noch genügend Story in sich hat um zu unterhalten. Wer mit dem richtigen Vorwissen an diesen Film herangeht wird vermutlich positiv überrascht sein. Für einen einfachen Filmabend eignet er sich zwar nicht, ist aber als filmisches Experiment sehr gelungen.
Gewarnt werden sollten an dieser Stelle allerdings noch die etwas sanfteren Gemüter, denn neben einigen Schockmomenten enthält der Film auch einige blutige Einstellungen. Die Freigabe ab 16 Jahren ist daher gerechtfertigt.
Veröffentlichung:
Hier hat Koch Media eine sehr schöne Ausgabe geschaffen wobei die DVD nicht in einer normalen Amaray steckt sondern in einem schönen Mediabook. Darin befestigt ist ein 16-seitiges Booklet, das noch zusätzliche Infos zum Film bereithält. Auf der DVD selbst ist neben Originalton auch eine deutsche Synchro vorhanden - obwohl das durch die wenigen Dialoge kaum notwendig gewesen wäre. Zudem wurden vier Kurzfilme der Regisseure draufgepackt, die Visuell ähnlich wie der Hauptfilm daherkommen.
Der hässliche FSK-Kleber lässt sich zum Glück entfernen - dabei ist jedoch Vorsicht geboten, denn der Papierüberzug kann sich leicht vom Untergrund lösen.
Bewertung: 7/10
Autor | Yves Albrecht
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