Tausendschönchen (1966)

Originaltitel

Land/Jahr

Genre

Laufzeit

 

Regie

Drehbuch

Darsteller

Sedmikrásky

Tschechien 1966

Drama, Komödie

47 min


Vera Chytilová

Vera Chytilová, Ester Krumbachová, Pavel Jurácek

Ivana Karbanová, Jitka Cerhová, Marie Cesková, Jirina Myskova, Marcela Brezinova, Julius Albert, Dr. Oldrich Hora


Die tschechische Regisseurin Vera Chytilová studierte zusammen mit Regielegende Miloš Forman und prägte die tschechische Filmlandschaft eingehend. Die engagierte Feministin drehte mit dem Film "Tausendschönchen" ein buntes und provokantes Werk, das sich stark mit der Auflehnung von Frauen beschäftigt. Aufgrund ihres Einsatzes für die Frauenrechte erhielt sie prompt von 1969 bis 1975 Arbeitsverbot.

"The Butterfly Room"?
"The Butterfly Room"?

Die beiden Mädchen Marie I und Marie II stellen eines Tages fest, dass die ganze Welt komplett verdorben ist. Kurzerhand beschliessen sie deshalb vom heutigen Tag an auch verdorben zu sein. Sogleich schreiten sie zur Tat und versuchen möglichst schlecht zu sein. Ob sie nun ältere Männer dazu bringen sie gratis durchzufüttern oder der Toilettenfrau Geld klauen; nichts hält die beiden auf ihrem Kreuzzug gegen die Norm auf. Man kann erahnen wie das enden wird – oder doch nicht?

 

"Tausendschönchen" ist ein Film, der für sein Entstehungsjahr äusserst provokant und mutig war. Besonders auch, weil niemand wirklich angesprochen wird – erzählt der Film doch keine der Norm entsprechenden Geschichte. Die beiden schrägen Hauptfiguren stolpern durch die Handlung, in der eine merkwürdige Szene die nächste jagt.

Schon zu Beginn merkt man, dass man sich auf keinen gewöhnlichen Film eingelassen hat. Nach der Titelsequenz, in der sich Aufnahmen von Bombenexplosionen mit denen von einem sich drehenden Rad einer grossen Maschine abwechseln, erblickt man zwei junge Frauen, die zusammen im Bikini vor einer Wand sitzen. Bei jeder ihrer Bewegungen quietscht es schrill und penetrant, als ob sie Teile einer alten Maschine wären, die viel zu lange nicht mehr geschmiert wurde – also längst veraltet ist aber konservativ weiterbetrieben wird. Als die beiden beschliessen dieser verdorbenen Welt ihre eigene Verdorbenheit entgegenzustellen, ändert sich dieser Zustand aber schnell.

Ab da folgen viele Szenen, in denen die beiden versuchen der Gesellschaft ein Bein zu stellen. Besonders spannend umgesetzt ist dies allerdings nicht. Die meiste Zeit verbringen sie damit, sich mit Essen vollzustopfen, alte Männer auf den Zug zu bringen oder sich darüber zu streiten wer von beiden verdorbener ist. Somit dümpelt der Film ein wenig vor sich hin, ohne einen wirklichen Handlungsstrang festzuhalten und zu verfolgen.

 

Dennoch hat der Film eine erstaunliche Faszination. Das liegt durchaus auch an der filmischen Umsetzung, denn genauso wie sich die beiden Protagonistinnen nicht an die Norm halten, ist der Film auch nicht gewöhnlich. Schwarz/Weiss Szenen werden von farbigen oder einfarbigen Szenen abgelöst. Verfremdungen durch spezielle Filter und schnell geschnittene Bildcollagen bieten dem Auge ein wahres Feuerwerk.

Was den Film aber besonders auszeichnet ist seine starke feministische Note, die man in dieser Rohheit noch selten bewundern konnte. Die beiden Maries tun alles, was damals von einer Frau nicht erwartet wurde. Sie reden frech daher, arbeiten nicht und streben auch nicht danach einen Mann zu finden. Die Männer, die sie treffen, sind entweder ältere Herren, auf deren Kosten sie sich den Bauch voll schlagen, oder junge Männer, denen sie den Kopf verdrehen, nur um sie danach fallen zu lassen. Die Szene, in welcher der verliebte Jüngling verzweifelt seine Liebesbekundungen übers Telefon vorträgt, während die beiden Mädchen gleichzeitig phallische Lebensmittel wie Würste, Bananen oder ein gekochtes Ei mit der Schere zerschneiden, tut dem Männlichen Zuschauer fast schon weh.

So ist diese provokante Darstellung den Filmemachern hoch anzurechnen und durch die spezielle Bildsprache und dem spürbaren Spass, den die beiden Hauptfiguren in ihren Rollen haben, hat der Film eine fesselnde Faszination und unterhält über die gesamte Laufzeit.

 

Fazit:

Mit "Tausendschönchen" ist Vera Chytilová ein filmisches Feuerwerk mit stark kritischem und feministischem Inhalt gelungen, dessen Faszination man sich kaum entziehen kann. Durch die visuellen Spielereien und dem zwar gekünstelten, aber ehrlichen Spiel der beiden Hauptfiguren reiht sich dieses Werk zu den wichtigsten Kunstfilmen ein, die man schauen kann. Ein Geheimtipp für jeden, der sich mit kritischer Weltsicht und filmischer Kunst auseinander setzen will.


Veröffentlichung:

"Bildstörung" hat diesen besonderen Film in ihre DropOut Reihe aufgenommen und bringt ihn in ausgezeichneter Bildqualität mit deutschem und Originalton. Die Limited Edition beinhaltet auch noch eine CD mit dem speziellen Soundtrack sowie eine spannende Dokumentation und ein 24-seitiges Booklet. Wie immer eine Kaufempfehlung.


Bewertung: 7/10

Autor | Yves Albrecht

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